27. Festival Sandstein und Musik
Traditionell beschließt das Blechbläser- ensemble Ludwig Güttler den Festivaljahr- gang. Sein stimmungsvolles Programm „Bläserweih- nacht“ fällt wie Licht in die dunkle Jahreszeit. Zwar musiziert das Ensemble auf klangstärkeren moder- nen statt auf Renaissanceinstrumenten, doch pas- send geblieben ist das Bild, das der französische Gelehrte Marin Mersenne (1588-1648) für ein typi- sches Blechblasinstrument jener Epoche entwarf, den alten Zink, der einer Trompete ähnlich geblasen wird und mit ihr klangverwandt ist. Der Zink sei ein „Sonnenstrahl in der Finsternis“, so Mersenne. Musikalischer Bogen über den Weihnachtskreis Die Folge erlesener, dramaturgisch sorgsam gewähl- ter Stücke, gegliedert in mehrsätzige, geschlossene Abschnitte (Partiten), schlägt einen Bogen über den Weihnachtskreis. Dieser setzt im Advent ein. „Advent“ bedeutet „Erwartung“ oder „Ankunft“. Der Erlöser, Heilbringer naht und ursprünglich blickten die Christen diesem Ereignis entgegen, indem sie fasteten. (Heute steckt bereits die Zeit vor Weihnach- ten voller Süßigkeiten …) Ein typisches Adventslied ist Martin Luthers „Nun komm, der Heiden Heiland“, es geht auf den altkirchlichen lateinischen Hymnus „Veni redemptor gentium“ des Ambrosius von Mai- land (339-397) zurück. „Nicht von Mans blut noch von fleisch / allein von dem heyligen geyst / Ist Gottes wort worden eyn mensch / vnd bluet eyn frucht weibs fleisch.“ – Diese zweite von acht Strophen Luther besingt das Wunder der unbefleckten Empfängnis, die der Menschwerdung Gottes vorausging. Das Programm stellt Lieder wie „In dulci jubilo“, „Wie soll ich dich empfangen“ und „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ aus unterschiedlichen Blickwinkeln vor. Die Lesarten reichen vom schlichten Choral bis zur Verarbeitung festlicher Motive in prachtvollen Canzonen. Instrumentalsätze aus Europa und Nord- amerika erzählen Episoden der biblischen Weih- nachtsgeschichte nach. Andere korrespondieren auf der Ebene musikalischer Motive, was interessante Bezüge aufdeckt. Der Begriff „Partita“ – so hat Gütt- ler die Abschnitte überschrieben – entstammt dem Barock, wo er für eine Folge eigenständiger und ebenso zusammengehöriger Sätze steht. Güttler hat dafür einen Großteil der Sätze für sein Ensemble selbst eingerichtet. Eine dieser Partiten ist „Es ist ein Ros entsprungen“ gewidmet – einem Lied, dessen Text ein Rätsel auf- gibt: Mitten im Winter und in tiefer Nacht bringt ein Ros (Reis) ein Blümlein hervor. Doch es ist Heilige Nacht – und die zweite Strophe liefert die Auflö- sung: „Das Röslein, das ich meine“ ist Maria, das Blümlein steht für Christus. Der biblische Hinter- grund dieser Allegorie: Als Sohn des Isai lässt sich Christi Abstammung bis zum König David zurück- verfolgen (Matthäus 1,16). Jesus gehe als „Reis“ aus dem „Stumpfe Isais“ hervor. Das zunächst nur zwei- strophige Lied erfuhr erst im 19. Jahrhundert eine Erweiterung. Christus vertreibt die Finsternis, „rettet von Sünd und Tod“. Eine Sinfonia leitet in dieser Partita hin zu Michael Praetorius’ berühmtem vier- stimmigen Satz. Darauf folgen ein Kanon für vier Posaunen von Melchior Vulpius und schließlich eine prächtig besetzte Paduane von William Brade – eine freudige Antwort auf die eben verklungene Weih- nachtsweise. Die Spur der „Ros“-Melodie, einer der bekanntesten des Weihnachtsfestes überhaupt, führt weit zurück – wenigstens bis zum „Speierischen Gesangsbuch“, das 1599 in Köln erschien. Praetorius (eigentlich Schultheiss oder Schultze), 1571 bei Eisenach geboren, gilt als der vielseitigste und einflussreichste deutsche Komponist seiner Zeit. Sein erwähnter Kantionalsatz, enthalten in der bedeutenden Sammlung „Musae Sioniae“ (die in neun Teilen zwischen 1605 und 1611 erschien), ist vermutlich der erste mehrstimmige Satz, in den dieses Lied gekleidet wurde. „Eine halbe Disziplin und Zuchtmeisterin“ Advent und Weihnachten sind untrennbar mit Musik verbunden. Die frühesten überlieferten Weihnachts- lieder, die wir heute kennen, haben lateinische Texte und entstanden etwa vor eintausend Jahren. Ein Großteil entstammt der frühen Neuzeit. Andere sind deutlich jüngeren Datums. Was macht Weihnachten so groß und zeitlos? Wie feiern wir das Fest heute? Was schenkt man? Was lässt uns im ungünstigen Falle enttäuscht zurück? „Da haben wir die Besche- rung“ ist eine wohlbekannte Redewendung, mit der sich Erwachsene zu allen Zeiten ihrem Ärger über „Vom Himmel hoch“ Von Karsten Blüthgen 66 Geburt Christi, anonyme, spätbyzantinische Malerei um 1150, Teil der Mosaiken der Capella Palatina in Palermo, Italien
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