27. Festival Sandstein und Musik

„Es gibt keine Fremden am Hauptbahnhof, weil der eben für Fremde da ist, und darum sind dort alle Einheimische, und die Fremden sind sogar einheimischer als die Einheimischen.“ (Sławomir Mrożek, „Emigranten und andere Stücke“, 1971-1975) Für solche Sätze ist er bekannt, Sławomir Mrożek, mit dem im Sommer 2013 einer der originellsten, eigenwilligsten Schriftsteller und Dramatiker Polens im dankbaren Alter von 83 Jahren aus dem Leben geschieden ist. Es müssen ausgesprochen wache, auf besondere Weise unterhaltsame, nahrhafte, auch zermürbende Jahre für ihn gewesen sein. In seiner Heimat hat man ihm ein „absolutes Gehör für gro- teske Zustände“ bescheinigt – lange, nachdem Mrożek ihr den Rücken gekehrt hat. Die Satire, die Abgründe der Politik und die Absurditäten des alltäglichen Lebens sind die Tummelplätze von Sławomir Mrożek und auf diese führt dieser mu- sikalisch-literarische Abend mit dem Schauspieler Friedrich-Wilhelm Junge und seinen musikalischen Partnern, dem Pianisten Michael Fuchs und dem Saxophonisten Ive Kanew. Friedrich-Wilhelm Junge bringt uns Erzählungen nahe und darin jene pointierte Sprechkultur, mit der uns Mrożek an vielen komischen Situationen teilhaben lässt. Wir lernen aberwitzige Gestalten des täglichen Lebens kennen und lieben. Von A wie Abwechslung, Anarchie und Angst über Fortschrift, Frauen und Freiheit, Rente und Revolution, Tod und Tourismus, Ungerechtigkeit und Wahrheit bis Z wie Zeitvertreib reicht die Themenliste seines 2004 erschienenen Buches „Das Leben für Anfänger: ein zeitloses ABC“. In diesem etwas anderen Ratgeber wird alles Lebens- wichtige abgehandelt. Mit Witz und geschliffenen Formulierungen rückt Sławomir Mrożek der Wider- sinnigkeit unseres Daseins zu Leibe. Er tut es, um an unsere Vernunft zu appellieren, sie zu provo- zieren. Den Finger in der Wunde alles Widersprüchlichen „Das Loch in der Brücke“ heißt eine der Geschichten aus Mrożeks ‚Anleitung fürs Leben’, bereits zuvor ist sie in dem Buch „Die Geheimnisse des Jenseits“ (1993) erschienen. Sie handelt, wie der Titel besagt, von einem Loch in einer Brücke. Einer Brücke, die über einen Fluss hinweg zwei Kleinstädte verbindet, in denen man sich schnell einig darüber wird, dass jenes Loch rasch beseitigt werden müsse. Nicht einig wird man sich indes in der Frage, wer dies tun soll. Es sei Aufgabe der weniger wichtigen der bei- den kleinen Städte. Die aber will keine sein. Als „Es gibt keine Fremden am Hauptbahnhof“ Von Karsten Blüthgen 62 eines Tages ein Bettler in das nun schon sehr lange klaffende Loch fällt und sich ein Bein bricht, wird die Frage nach seiner Richtung zur wichtigsten. „Die Be- wohner der beiden Städtchen fragten ihn eifrig aus, ob er vom rechten Ufer zum linken oder vom linken zum rechten gegangen sei, davon hing nämlich ab, welches Städtchen die Verantwortung für den Unfall zu tragen hätte. Er aber konnte sich nicht erinnern, weil er an jenem Abend betrunken war.“ Wie das Ganze ausgeht, lässt sich erahnen – und bei Mrożek auch wiederum nicht … Sławomir Mrożek wurde 1930 im Dorf Borzęcin bei Krakau geboren und studiert Architektur, Kunst- geschichte sowie Orientalistik. In Polen ist er zu- nächst als Karikaturist erfolgreich, bevor er sich als Dieses Konzert wird präsentiert von Slawomir Mrozek (1930-2013). „Es waren immer die untergründigen Widersprüche, die Mrozek aufspürte. Als Realist vermochte er das Absurde der Wirklichkeit nicht zu übersehen: Wer genau hinschaut, sieht den Irrsinn des Absurden überall“ (aus dem Nach- ruf in der Berliner Zeitung, August 2013) – . .

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