27. Festival Sandstein und Musik

Bezugspunkt, an den er immer wieder zurückkehrt und wo er 21 Jahre unter verschiedenen Adressen lebt, bis er 1885 auch Deutschland in Richtung Schweiz verlassen muss, weil er das neue Kaiser- reich zu offen als Bedrohung für den östlichen Nachbarn Polen bezeichnet hat. Seine heute noch bekannteste Dresdner Adresse: Das Haus Nordstraße 28 im Preußischen Viertel der Dresdner Neustadt, wo seinem Andenken seit 1960 ein Museum gewidmet ist. Dresdens leichter Hang zum „früher ...“ Wie diese bewegte Biografie schon vermuten lässt, ist Kraszewski kein Autor, der sich einen Maulkorb anlegt. Dabei erzählt er in seinen Reiseblättern nicht nur von Dresden und Sachsen, sondern durchstreift Belgien, das Rheinland, Sachsen und Preußen, Frank- reich und Italien. Am ausführlichsten aber widmet er sich, so wie es der Dresdner mag, der sächsischen Hauptstadt. Querfeldein durchstreift er die Stadt und die Gemütslage ihrer Bewohner: Von allgemeinen Charakterisierungen („die Sachsen sind in Deutsch- land für ihre Empfindsamkeit und eine gewisse Sanft- mut bekannt“) über Ehefragen („die Frau achtet den Herrn des Hauses“) hin zum religiösen Leben (das „keinen hohen Grad von Inbrunst zu erreichen“ scheint); vom Stolz der Bewohner (der „seit fast hundert Jahren immer neue Verluste und Demü- tigungen hinnehmen musste“) über Eigenheiten des Straßenbildes („alle kleiden sich schlicht und be- scheiden, (…) alle sind bestrebt, nicht aufzufallen“) bis hin zu einigermaßen verblüffenden Befunden („die sogenannte Neustadt, den ruhigsten Teil des ohnehin schon ruhigen Dresdens“). Dabei bietet sich dem heutigen Leser oder Hörer die Möglichkeit, die eigene Stadt durch eine doppelt verfremdende Brille zu entdecken: Neben der Per- spektive des Auswärtigen, die Kraszewski mitbringt, tritt für den heutigen Zuhörer die des Nachgebore- nen hinzu. Bei bald 145 Jahren, die seit der Nieder- schrift um/vor 1874 vergangen sind, kann ein städte- bauliches Statement wie dieses schon verwundern: „(...) rund um die Bürgerwiese und zum Großen Gar- ten hin werden (...) Häuser mit jener auf der ganzen Welt gleich ansehnlichen, jedoch charakterlosen Architektur massenweise als Spekulationsobjekte gebaut (...)“. Während man meint, man sei mitten in eine aktuelle Besprechung der Gestaltungskommis- sion hineingeplatzt, lässt dieser wie manch anderer Textauszug doch den leisen Verdacht aufkommen, auch ehedem schon hätte ein leichter Hang zum „frü- her ...“ geherrscht. Dass Wandel möglich ist, zeigt hingegen das titelgebende Zitat „... aber kann man von diesem biederen, ruhigen Dresden allzuviel ver- langen?“ Dresden und bieder – dem widerspricht in den letzten Jahren die wütende Menge derer, die „Die Dresdner fragen einen gar nicht, ob einem die Stadt gefällt. Sie sagen es einem.“ So berichtet der Dresden-Besucher Umberto Eco von seinen Erfahrungen mit der Dresdner Stadt- psychologie. Und richtig; die Literatur über Dresden, ob von Einheimischen oder Gästen verfasst, füllt ganze Regalmeter. Bei so viel Selbstreflexion besteht immer auch die Gefahr, selbstreferenziell zu wer- den – wogegen ein Blick von außen ein heilsames Gegengift darstellen kann. Dabei ist der Dresdner wohl eher nicht dafür bekannt, sich gerne allzu Unzartes über sein Gemeinwesen sagen zu lassen. Mit einer gewissen Renitenz, die nicht recht zum Bild des gemütlichen und höflichen Sachsen passen will, wehrt man sich gegen jeden realen oder unterstell- ten Versuch von anderswo, die Deutungshoheit über den eigenen Charakter an sich zu bringen. Dass man hier bisweilen das Kind mit dem Bade ausschüttet, wird in Kauf genommen. Dabei ist nicht jeder Ver- such einer kritischen Annäherung an die Stadt und ihre Bewohner gleich überheblich, ahnungslos, missgünstig oder schlicht ignorant – man kann der Stadt und ihren Bewohnern lang und treu, ja innig verbunden sein und sich doch immer wieder wundern über die disparaten Zustände einer an sich so be- gnadeten Stadt. Autor ohne Maulkorb Das „fremde“ Dresden wurde dem Polen Jósef Ignacy Kraszewski (1812-1887) zur Heimat. Dieser wird im Zuge des Warschauer Januaraufstands 1863, der sich gegen die russische Herrschaft in Polen richtet, zum politisch Verfolgten. Der drohenden Verbannung nach Sibirien entzieht er sich durch die Flucht Richtung Westen. Am 3. Februar 1863 erreicht er Dresden, das für Verfolgte in der politisch brisanten polnischen Geschichte des 19. Jahrhunderts öfter zum Flucht- punkt geworden war. Hier wird er 1869 schließlich zum sächsischen und dadurch 1871 mit der Gründung des Deutschen Reiches automatisch zum deutschen Staatsbürger. Dabei bedeutet das äußere Exil für ihn keineswegs auch ein inneres: Er unterstützt nach Kräften polnische Oppositionsbewegungen, hilft anderen Flüchtlingen, bringt sich politisch ein, reist quer durch Europa und arbeitet fast nebenbei weiter an seinem literarischen Schaffen, dass bei seinem Tod 1887 über 200 Werke umfassen soll. Darun- ter am bekanntesten wohl seine „Sachsen-Reihe“ – „August der Starke“, „Gräfin Cosel“, „Flemmings List“, „Graf Brühl“, „Aus dem Siebenjährigen Krieg“ und „Der Gouverneur von Warschau“ – die später der DEFA als Grundlage für die sechsteilige Fernseh- produktion „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“ dienen sollte. Dresden bleibt in diesen Exiljahren sein „Selten so zufrieden“ oder die Suche nach den Spezifika der „Dresdner Seele“ Von Sören Frickenhaus 60 Brühlsche Terrasse, um 1880. Das „fremde“ Dresden wurde Jósef Ignacy Kraszewski zur Heimat. Am 3. Februar 1863 erreicht er die Stadt, die für Verfolgte in der politisch brisanten polnischen Geschichte des 19. Jahrhunderts öfter zum Fluchtpunkt geworden war.

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