27. Festival Sandstein und Musik

Farbenreich 2012 haben sich die Musiker des Stahlquartetts nach langem Zögern dazu entschlossen, eine CD zu produzieren – nicht zuletzt, um „bisheriges Reper- toire abzulegen und in unseren Köpfen Freiraum zu schaffen für Neues“ sagt Jan Heinke. Das ist schon wieder sieben Jahre her. Das Repertoire ist seitdem stetig weiter gewachsen, noch breiter geworden und zeigt, wie farbenreich so ein Instrument aus Stahl sein kann. Wie aus einzelnen, verschieden langen, gestimmten Stäben, die wie Gräten sich hinter einer geschwungenen Edelstahlfläche anordnen, sich so komplexe, zuweilen futuristische Töne empor- heben, ist ein Erlebnis sondergleichen. Die schiere Größe der Instrumente tut dazu freilich ihr übriges. Von diesen Boliden so fein ziselierte Musik wie die eines Bartók, Bach oder Miles Davis zu hören, muss den Hörer einfach entrücken. Klangsphären, in die man erst hineinhorchen kann, wenn man jene Musik eben einmal nicht im gewohnten Tempo hört. Visionär Vor gut hundert Jahren machten sich einige arrivierte Künstler*innen und Wissenschaftler*innen Gedan- ken über „Die Welt in 100 Jahren“. In dem Sammel- band führte der Herausgeber Arthur Brehmer sachli- che Prognosen namhafter Autor*innen über „das drahtlose Jahrhundert“, „Gedanken über die Gesel- ligkeit“, „das soziale Leben in 100 Jahren“ und an- deres mehr zusammen. Es sind Utopien, die aus- schweifend vom Fortschritt sprechen: alles wird höher, schneller, weiter. Auch über „die Musik in 100 Jahren“ gibt das Buch Auskunft: „In hundert Jah- ren […] wird man von unseren großen Klassikern und Romantikern der Musik kaum mehr etwas kennen [,] da bis dahin unser Tonsystem auf eine völlig verän- derte Grundlage gestellt sein wird, so dass man eine Musik, die sich im Gebiete des temperierten Tonsy- stems bewegt, ganz und gar fremd und unverständ- lich finden wird“, prognostiziert die Figur des Mu- sikdirektors Dr. Futurius am imaginären Musiker- stammtisch – dem auch der Autor des Aufsatzes, der österreichische Komponist Wilhelm Kienzl, beiwohnt. Dieser hingegen, noch deutlich den Traditionen der allmählich bröckelnden Doppelmonarchie verhaftet, malt eine ganz andere, nicht weniger zukunftsfähige, aber umso vergangenheitsfreundlichere Zukunft: 21. Konzert Lohmen, Ev. Kirche Sonntag 6. Oktober 2019 17:00 Uhr Lohmen. Erbaut 1786 bis 1789. An der Kirche wirkte von 1797 bis 1823 Pfarrer Carl Heinrich Nicolai, der 1801 den ersten Wanderführer über die Sächsische Schweiz schrieb. Im Inneren ist die Kirche als letzter barocker Zentralbau in der Nachfolge George Bährs gestaltet. Die farbige Ausgestaltung in Weiß mit zarter Goldverzierung zeigt bereits Merkmale des Klassizismus. Mit 835 Sitzplätzen ist sie die größte Dorfkirche in der Sächsischen Schweiz. 53 Programm Vier Musiker, vier Streichinstrumente – das weckt die Assoziation Streichquartett. In diesem Konzert aber spielen sie auf Stahlcelli, ungewöhnlichen Instrumenten von faszinierendem Klang. Das Stahlcello unterscheidet sich von einem Violoncello sehr deutlich, ähnelt ihm in bestimmter Weise aber auch. Mit Stahlcelli lassen sich Klänge erzeugen, die sehr langsam ein- und ausschwingen – so langsam, dass sich die Wahrnehmung von Ausdruck und Strukturen in der Musik weitet. Ausführende Stahlquartett Jan Heinke (Stahlcello) Alexander Fülle (Stahlcello) Peter Andreas (Stahlcello) Michael Antoni (Stahlcello) Konzertdauer ca. 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause „Da ich aber als Idealist an dem guten Genius der Menschheit nicht verzweifeln kann, so glaube ich fest an die Wiederkehr eines goldenen Zeitalters der Musik. […] Nicht mit dem Kopfe werden sie dann schaffen, nicht mit und aus Spekulation, sondern mit der Seele wie ehedem. Dann wird die Musik wieder einfach werden wie die aller unserer Großen von Palestrina bis Wagner. […] Die Tonsetzer werden wieder Erfinder sein. Sie werden nicht mit ihren Künsten den Verstand fesseln, sondern mit ihrer Kunst das Herz ergreifen.“ Eines kann daher dem Publikum in der Lohmener Kirche versprochen werden: Sie gehen nach dem Konzert mit geweiteten Ohren durch die Welt. Mit Ohren, die wachsamer sind, aufmerksamer für die feinen Nuancen des Alltags und der „Schätze unserer Heimat“.

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