27. Festival Sandstein und Musik

Noch bevor mit dem Exil in den USA ihre internationale Karriere begann, feierte Marlene Dietrich ihren ersten durchschlagenden Erfolg 1930 mit ihrer Rolle der Lola im Film „Der blaue Engel“. Hier singt sie als verrufene Variété-Tänzerin, der der brave Gymnasiallehrer Rath hoffnungslos verfallen ist, das Lied „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, das auch in der englischen Fas- sung „Falling in Love Again“ ein Welthit werden sollte. Geschrieben hatte diese Musik Friedrich Hollaender, der seine 1965 erschienene Autobio- grafie, in der er sein bewegtes, von manchem weite- ren Erfolg gekröntes Leben schildert, schließlich selbst nach einem Zitat aus dem Titel des Liedes benennt: „Von Kopf bis Fuß“. „Von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ könnte man auch eine weitere Femme fatale nennen: Bizets Carmen. Die Oper, heute eine der weltweit meist- gespielten überhaupt, fand bei der Uraufführung 1875 zuerst keinen großen Beifall. Erst nach einer Umarbeitung Bizets, bei der vor allem einige Bal- lettszenen eingefügt wurden, begann ihre Populari- tät zu steigen und auch die enthaltenen spanischen Tänze weltweit bekannt zu machen. Der Name der Hauptfigur bedeutet im Ursprung passenderweise so viel wie „Beschwörung“ oder „Zauberspruch“. So betört die Gestalt der verführerischen Frau in der Oper auch mit einigen berühmt gewordenen Arien die Männerwelt. Die „Habanera“ enthält dabei die vielsagende Warnung „Wenn ich Dich liebe, dann nimm Dich in Acht!“ Weniger bekannt ist Mascagnis „Cavalleria Rusti- cana“, die auf Sizilien angesiedelt ist und wegen ihrer Spieldauer von nur rund 70 Minuten häufig mit „Pagliacci“ vom selben Komponisten an einem Abend gegeben wird. Das bekannteste Stück aus der Oper, das es auch als selbstständiges Instrumentalstück zu einiger Popularität gebracht hat, ist das „Inter- mezzo“, das die ruhige Stimmung eines Sonntagmor- gens schildert. Zauber unangepasster Frauenrollen Ebenso in Italien, aber auch in Argentinien angesie- delt ist die Handlung der Operette „Maske in Blau“. Deren Komponist Fred Raymond, eigentlich Vesely mit Nachnamen, wurde als Sohn böhmischer Vorfah- ren in Wien geboren. Er hatte bereits mit „Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren“ Erfolge gefeiert, als 1937 die Uraufführung der „Maske in Blau“ statt- fand. Der italienische Teil der Handlung spielt „im Frühling in San Remo“ und behandelt die amourösen Verwicklungen rund um die Protagonistin Evelyne. Im Gegensatz zu dieser Figur, die eher einem klas- sisch-zurückhaltenden Frauenbild entspricht, regiert die „Lustige Witwe“ Hanna die Pariser Salonwelt um 1900. 1905 in Wien uraufgeführt, reiht sich das bekannteste Werk des Operettenkomponisten Franz Léhar ein in eine Reihe von Bühnenwerken des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, in der selbstbewusste Frauen und oft deren erotische An- ziehung im Mittelpunkt stehen – wie Bizets Vamp Carmen oder die kokette Lola. Während gesellschaft- liche Erwartungen von Frauen immer noch ein Leben als treue Gattin, aufopferungsvolle Mutter und Hüterin von Sitte und Anstand forderten, erlag das Publikum dem Zauber unangepasster Frauenrollen. Fast altbacken wirkt es da, wenn Leonard Bernstein für sein Musical „West Side Story“ auf den klassi- schen Shakespeareschen Dramenstoff von Romeo und Julia zurückgreift, die aufgrund gesellschaft- licher Konventionen nicht zueinander kommen dür- fen und schließlich im Tod Erfüllung finden. Bernstein siedelt die Handlung im New York der 1950er-Jahre an und lässt auch musikalisch allerlei Zeitgenös- sisches einfließen. So entsteht aus der Verbindung von Jazz-Elementen, lateinamerikanischen Rhythmen und „klassischem“ Opernhandwerk eine mitreißende neue Musiksprache. Fryderyk Chopin stammte aus Polen. Der Sohn eines französischen Vaters und einer polnischen Mutter wurde während seiner erfolgreichen Jahre in Paris weltberühmt, in denen er auch die Schreibweise seines Vornamens anpasste, sodass er heute meist unter der französischen Namensvariante „Frédéric“ bekannt ist. Sein Nocturne Es-Dur op. 9 Nr. 2 zählt zu den bekanntesten seiner 21 Nocturnes, „Nacht- stücke“, die charakterlich abendliche oder nächtliche Ruhe verströmen. Machte Chopin diese Gattung zwar populär, erfand sie doch ein anderer: John Field (1782-1837). Dieser seinerzeit berühmte Pianist und Komponist war als gebürtiger Ire auch einer der ersten, der auf seinen zahlreichen Konzertreisen durch Europa auch Irische „Wenn ich Dich liebe, dann nimm Dich in Acht!“ Von Sören Frickenhaus 46 Michelangelo Merisi da Caravaggio (1571-1610): Bacchus, um 1595, Öl auf Leinwand. Bacchus, von den Römern als ursprüng- licher italischer Gott des Weines und der Fruchtbarkeit gebräuchlich, war Motiv einiger berühmter Maler.

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