27. Festival Sandstein und Musik

Bilden das Thema „Geschichten ohne Worte“ und einführende Worte nicht einen Widerspruch? – Ein eindeutiges ‚Nein’ von Victor Hugo, der schrieb: „Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schwei- gen unmöglich ist“. Ein treffliches Beispiel liefert die als Ouvertüre dienende Toccata d-Moll BWV 565. Bachs populärstes Stück ist mit Worten nicht bei- zukommen, doch darüber hinweggehen geht nicht. Das Flattern der Tempi zwischen Rasen und Ver- harren, das Kreisen im Tonraum und ein achtstimmig sich ballender Klang beeindrucken. Zeitlos. Philipp Spitta bescheinigt der d-Moll-Toccata in seiner zweibändigen Bach-Monografie (Leipzig, 1873 und 1880), „eine gewaltige, oft ganz ungeheure Wirkung“ und erkennt in den „dröhnend sich wälzenden Accordmassen“ das Typische dieser auf Fantasie gründenden Form. Nein, ohne Worte geht es nicht. Manche mögen leiser gesprochen sein, weil sie dorniger sind: Bachforscher zweifeln an der Echtheit dieser Komposition ... „Das Wichtigste war, die gemeinsame Atmung der Musik und unserem Spiel zu finden.“ Lassen wir einen Pantomimen zu Wort kommen: „Als Kind war ich absoluter Fan von ‚Peter und der Wolf’, wobei mich nicht nur die Musik fasziniert hat, son- dern auch die Sprache des Erzählers, die auf ihre Art voller Rhythmus und Musik war“, sagt Wolfram von Bodecker, befragt nach der Herkunft seiner musikalischen Neigung. „Musik war in unserer Fa- milie sehr präsent und mich haben ihre Wandlungs- fähigkeit und die emotionalen Welten magisch an- gezogen. All’ die Bilder, die beim Hören und Erleben der Musik vor meinem inneren Auge entstanden und entstehen, sind die Lebensmittel für mein Theater.“ Theatralisch bringt sich die Compagnie Bodecker & Neander gleich nach der Toccata ein, zur biblischen Sonate „Der Streit zwischen David und Goliath“ von Johann Kuhnau. Der Tischlersohn Kuhnau, gebür- tiger Geisinger, besuchte die Dresdner Kreuzschule, studierte in Leipzig und kehrte später dorthin zurück, um Thomasorganist und schließlich – als Amtsvor- gänger Bachs – 1701 Thomaskantor zu werden. Werke für Tasteninstrumente, vor allem seine pro- grammatisch konzipierte „Musicalische Vorstellung einiger biblischer Historien“, haben ihn als Komponist bekannt gemacht. „Seit über 20 Jahren kreieren wir Theater- und Konzertprojekte. Zahlreiche visuelle Konzerte haben wir mit Sinfonieorchestern inszeniert und gespielt, haben zeitgenössische Musik mit dem Arditti String Quartet umgesetzt“ deutet Wolfram von Bodecker die Vielfalt seiner Arbeit an und geht in die Tiefe: „Das Wichtigste war, die gemeinsame Atmung der Musik und unserem Spiel zu finden.“ Die Orgel habe natürlich einen besonderen Status. „Als Kind habe ich unzählige Orgelkonzerte auf der Orgelempore des Schweriner Domes miterleben dürfen, wo meine Mutter registrierte oder selber spielte. Das Zusam- menspiel von hoher Handwerkskunst, berührenden Kompositionen, Spielfreude und Echo in einer riesi- gen Architektur gaben Geborgenheit und machten zugleich neugierig“, so von Bodecker. „Gleichzeitig öffnet sich ein Fundus voller biblischer Themen, die nicht nur Komponisten beschäftigt haben, sondern auch für unsere Kunstform hochinteressant sind. Es geht um das Essentielle – um den Menschen in sei- Den Fantasien Gestalt und Atem geben Von Karsten Blüthgen 34 Wird präsentiert von der ENSO Energie Sachsen Ost AG „Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist.“ Das berühmte Zitat des französischen Schriftstellers Victor Hugo (1802-1885) wird in diesem Programm auf besondere Weise anschaulich.

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