27. Festival Sandstein und Musik
loncello zeugt von großer Originalität und expres- sivem Ausdruck und ist dem tschechischen Spät- romantiker „Leoš Janácek in tiefster Bewunderung“ gewidmet. Der fast gleichaltrige tschechische Komponist Bohus- lav Martinů studierte ebenfalls am Prager Konser- vatorium, wurde wegen mangelnden Interesses vom Unterricht ausgeschlossen, erhielt aber trotzdem sein Diplom als Violinist. Verheiratet mit einer Fran- zösin lebte er viele Jahre in Paris, von wo aus er 1940, als seine Musik von den Nationalsozialisten verboten wurde, über Lissabon in die USA floh. Gern hielt er sich auch bei seinem Mäzen Paul Sacher in der Schweiz auf, in seine Heimat kehrte er aus poli- Die Violine und das Violoncello – zwei Geschwister einer großen Familie – sie lie- ben sich, sie streiten in verschiedenen Tonlagen mit- einander, entfernen sich von- und finden immer wie- der zueinander. Es ist ein harmonischer Wettstreit, dessen Sieger die Musik ist. Die beiden Instrumente sind gleichberechtigt, jedes hat seine Stärken: Sie umspannen ein weites Tonspektrum von der sonoren Tiefe bis zur strahlenden Höhe. Sie ergänzen sich und bilden zusammen eine Einheit. Besonders deutlich wird dieses sich ergänzende Miteinander in den Zweistimmigen Inventionen von Johann Sebastian Bach, die ursprünglich für ein Tas- teninstrument gedacht waren. Bach komponierte ab 1720 für seinen Sohn das „Klavierbüchlein für Wilhelm Friedemann Bach“ (original: „Clavier-Büch- lein vor Wilhelm Friedemann Bach“), in dem sich diese Inventionen finden, die sicher vielen noch aus dem eigenen Klavierunterricht bekannt sind. Das lateinische Wort „Invention“ heißt eigentlich nichts anderes als „Erfindung“ oder „Einfall“ und bezeich- net in der Musik eine Instrumentalkomposition in freier Form, meist mit sich imitierenden und kontra- punktischen Elementen. Im Barock war jedes Instrument recht In diesem Konzert hören wir einige der Bach’schen Inventionen in einer Fassung für Violine und Violon- cello. Das Umschreiben von Kompositionen auf an- dere Instrumente war lange Zeit selbstverständlich. Wir dürfen nicht vergessen, dass es keine „Tonkon- serven“ gab, dass jede Musik, die erklang, selbst ge- spielt oder gesungen werden musste. Und dafür war jedes Instrument recht. In bürgerlichen Häusern und Schlössern – wie hier in Rammenau – wurden Haus- musiken veranstaltet, bei denen Musiker und Musik- liebhaber in intimer privater Sphäre auf denjenigen Instrumenten, die gerade zur Verfügung standen, für sich und weitere Zuhörer Kammermusik zur Unter- haltung spielten. Geflohen unter dem Druck der Nationalsozialisten Erwin Schulhoff komponierte nur ein Duo für Violine und Violoncello. Der in Prag geborene und tragischer- weise 1942 im Internierungslager Wülzburg bei Wei- ßenburg ums Leben gekommene deutsch-jüdische Komponist setzte sich intensiv mit den verschiede- nen Musikströmungen seiner Zeit auseinander. Be- reits mit 10 Jahren wurde er als Schüler im Prager Konservatorium aufgenommen. Nach den einschnei- denden Erlebnissen des ersten Weltkrieges – er kämpfte unter anderem in Norditalien – lebte er auch in Berlin und Dresden, bevor er 1924 nach Prag zu- rückkehrte. Lebenshungrig und provokant beschäf- tigte er sich mit der radikalen frühen Avantgarde, setzte sich mit Surrealismus, Dadaismus und den Künstlern um George Grosz auseinander, unterstützte die Vierteltonmusik von Alois Hába, schätzte beson- ders die Musik Arnold Schönbergs und Alban Bergs der Neuen Wiener Schule und spielte als Mitglied des Jazzorchesters des Prager Theaters. Schulhoff verstand es, diese verschiedenen Stilrichtungen, Rhythmen aus Jazz und Tanzmusik sowie Einflüsse aus Impressionismus, Expressionismus und Neoklas- sizismus in seinen Werken meisterhaft miteinander zu verbinden. Das einzige Werk für Violine und Vio- „Geschwister“ spielen Kammermusik Von Dr. Bettina Felicitas Jeßberger 28 Henri Manguin (1874-1949), impressionistisches Porträt von Maurice Ravel, 1902
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